Gast Author: Andreas mit dem Dreirad // Foto: Matze ohne Fahrrad

Wenn Du ein Nachtrennen veranstalten willst, dann trommle nicht Biker*innen zusammen, um Rahmen und Ritzel zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem dunklen, harten und kalten Pfälzerwald.

(sehr, sehr frei nach Antoine de Saint-Exupéry)

Eine Reise beginnt meistens lange vor dem Antritt derselben. Häufig mit einem Traum oder einer Sehnsucht – nach anderen Örtlichkeiten, anderen Menschen, anderen Erlebnissen. Nach einem Ausbrechen aus den täglichen Regelabläufen. Nach einem Zurück zu sich selbst. 

„Das Kind in dir muss Heimat finden“ lautet der Titel eines Sachbuch-Bestsellers, den ich zwar nicht gelesen habe, der mir aber ganz treffend erscheint für diesen „Reisebericht“ eines SIS-Frischlings.

Vorgeschichte

Nach einigen Jahren recht intensiver radaktivistischer Tätigkeiten in München, dem Versuch das Volksbegehren „Radentscheid Bayern“ mit auf den Weg zu bringen (das nach erfolgreicher Unterschriftensammlung vom Bayrischen Verfassungsgerichtshof wieder kassiert wurde), nach Aktionen gegen endende Radwege, Fahrraddemos auf Autobahnen, Sternfahrten etc., ist Ernüchterung eingekehrt – um nicht zu sagen: eine leicht depressive Stimmung.

Es ist mir etwas abhandengekommen.

Ich will nicht mehr bei jedem Überholvorgang mit 30 cm Abstand, oder bei jedem zugeparkten „nur mal kurz beim Bäcker“-Radweg die nächste weg.li-Anzeige schreiben. Oder den schon wieder unpassierbar zugeschneiten Radweg auf der elektronischen Problemvertagungsplattform der Landeshauptstadt München eintragen, um dann im Hochsommer eine Proforma-Rückantwort zu erhalten, dass man sich um eine stetige Verbesserung… .

STOP! Ich bin schon wieder mitten drin!!

Warum ärgere ich mich ständig bei dem, was eigentlich Freude bereiten sollte?

Fahrradfahren war doch mal schön, bevor mich am Aschermittwoch 2018 ein über den Radweg abbiegender PKW vom Rad geholt hat, was 2019 zu einer Schulter-OP führte (der Grund für den Kauf des Liege-Trikes und der Auslöser für die Aktivitäten in Sachen bessere Radinfrastruktur).

Auch danach gab’s Projekte (Schokofahrten #6 2019, #8 2020), die sowohl menschlich toll, wie auch tourenradlerisch anspruchs- und freudvoll waren.

Selbst während der Lockdown-Phase gab’s mit einem Sportwagen-Nachbau über dem Trike eine erfüllende Beschäftigung. Mit anschließender Freude-Garantie, wenn das Fahrzeug in München unterwegs war (inklusive gelegentlicher interessierter Gespräche mit Vertreter*innen der Staatsmacht).

Aber beim regulären Radfahren in München ist Galle der vorherrschende Beigeschmack. 

Irgendwie muss ich die Prioritäten ändern. 

Das Radfahren sollte gefälligst zu allererst wieder Spaß machen.

Oktober 2023

Für eine Critical Mass bastele ich an einer erweiterten Playlist, die etwas mehr als die allseits bekannten Titel (Max Raabe, Die Prinzen, Queen, Jan Böhmermann, Moop Mama, Red Hot Chili Peppers…) enthalten soll und stolpere über „Mann ohne Gang“. 

Wass’n das? Harte Töne und Fahrradthema? 

Wie heißt die Gruppe? Schlammbein! Gibt’s da noch mehr?? 

Zweiter Treffer: Dunkel, Kalt & Hart! 

Dritter Treffer: S IS SIS

„Wer kann die Manie begreifen

Kaltes Eisen, Gummireifen.

Wenn die Felge Feuer fängt

Dann weißt du, dass der Wahnsinn brennt.

Spieglein, Spieglein an der Wand

Sag’ mir was du siehst.

Einen Haufen Irrer

Über die sich Schweiß ergießt.“

Geil!

Danach die Youtube-Videos: Aufnahmen von Kinderrennen mit strahlenden Gesichtern, Singlespeeder in durchgeknallten Kostümen, Kaiserzeit-Bademoden.

Bunt, laut, fröhlich…

Resultat: angefixt.

Dann die Zweifel: Du bist kein Mountainbiker. Eine Nacht lang Runden drehen mit je rund 200 Höhenmetern – schaffst du nie. Trail mit Wurzeln und Sprüngen – schaffst du nie.

Nochmal Videos: hast du da nicht gerade ein Tandem gesehen? War da nicht ein Einspur-Liegeradler dabei? Und Klappräder? Wenn die da durchkommen, dann schaffst du das mit dem Reiserad doch auch, vielleicht nur etwas die Bereifung ändern?

Dann die SIS-at-home-Videos: man spürt die Verbundenheit der diversen Gruppen aus verschiedenen Regionen. Den Wunsch, die Veranstaltung nicht der heiligen Corona opfern zu wollen. Trotzdem weiterzumachen, trotzdem Spaß zu haben.

Hast du nicht genau nach so etwas gesucht?

Ehrlich: Das Thema kreist zwei Monate im Hinterkopf. Ich träume von SIS, ohne je dabei gewesen zu sein. Die Blog-Historie und der zwischenzeitlich abonnierte Newsletter liefern manche Erklärung, aber nicht für alles. Warum liegt auf der Homepage ein Kinderrennen-Haftungsausschluss für die Vergangenheit und nichts Aktuelleres? Wie funktioniert das mit der Bewerbung um einen Startplatz? 

Januar 2024

wo chiemte mer hi / wenn alli seite / wo chiemte mer hi / 

und niemer giengti / für einisch z’luege / wohi dass mer chiem / we me gieng.

(Kurt Marti)

Am 1. Januar, drei Sekunden nach dem Jahreswechsel, drücke ich auf „Senden“.

Die Bewerbungsmail ist raus. Jetzt ist es halt auch egal! 

Erstmal die Münchner Böllerei angucken, mit den Nachbarn anstoßen. 

Die nächsten Tage hast du Zeit genug, darüber nachzudenken, was du da gerade gemacht hast.

Am 3. Januar im „Halt! Feuerwehr“- Blogeintrag: 

„SIS 20|24 ist seit dem 1.1. circa 00:17 voll. In der ersten Minute waren 88 Melde-Emails da“ 

und: „Zur Zeit können also alle, die schon gemeldet haben aufatmen“. 

Hört sich so an, als ob das eine Frischlings-Startplatz-Zusage wäre.

Heißt aber auch: Es gibt kein Zurück mehr!

Streckenplanung für die Hin-und-Rückradel-Reise. Buchungen im Januar für Juli/August-Übernachtungen kriegen die Beherbergungsbetriebe vermutlich auch nicht sooo oft.

Beim Radeln ins Büro werden jetzt die spärlichen Erhebungen Münchens mit eingebaut. Olympiaberg, Luitpoldhügel, Hypoberg. Die höchste Erhebung – der Fröttmaninger Müllberg mit dem Windrad – ist wegen Schneebruchs noch gesperrt. Angeblich für zwei Wochen. Es werden über zwei Monate.

Anfang März langsam aufkeimende Hoffnung, dass das mit den Höhenmetern bis zum Juli vielleicht doch klappen könnte.

Ende März auf einmal massive Schulterschmerzen. An einem Wochenende aus lauter Verzweiflung in die Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung: „luxiert ist die Schulter nicht. Gehen Sie zur weiteren Klärung zum Orthopäden“. Es folgt das Übliche: Röhre. 

Anfang April die Diagnose mit der Empfehlung: „OP. möglichst noch in diesem Quartal“. Aber man glaubt ja nicht mehr gleich, was einem die Ärzte so empfehlen. Also Zweitmeinung einholen. Die ist anderthalb Woche später mehr oder weniger gleichlautend: „von alleine und konservativ wird das nichts. OP. Möglichst noch in diesem Quartal.“

Mist! Eine Operation in der ersten Juniwoche und dann Ende Juli zu SIS fahren? 

Kannst du wohl knicken.

Erste Panikmail an Phaty und Nadia: „Möchte auf Teufel komm raus nicht absagen, aber…“

Anderthalb Wochen nach der OP kommt das Trike wieder zum Einsatz. Arm noch in der Schlinge, Abbiegehandzeichen nur andeutungsweise möglich, aber das Fahren mit der Unterlenkung funktioniert super. Fühle mich wesentlich sicherer als die Woche vorher in den öffentlichen Verkehrsmitteln! 

Nach zwei Wochen läuft’s schon wieder ganz gut, an aufrecht fahren ist aber weiterhin nicht zu denken. Maximalstrecke vorerst nur 20 km flach in die Münchner Innenstadt und wieder heim.

Ende Juni erste längere Strecken weitgehend flach um München herum. Anfang Juli ein paar Steigungsstreckenversuche im Umland. Erkenntnis: Steigungen auf Schotter mit einem 47er MarathonPlus auf dem Trike-Antriebsrad sind keine gute Idee. 

Ist gar nicht so einfach, einen Mountainbikereifen in 20 Zoll zu kriegen, der dann auch noch für einen 120-kg-Radler funktionieren soll – alles für Kinder konstruiert. 

Ein erster Versuch mit einem etwas profilierteren Allround-Reifen ist ganz vielversprechend, aber nach drei Tagen hat das Antriebsrad den ersten Platten und es kommt die Ahnung auf, dass der Reifen für SIS nicht reichen wird.

Zweite Mail an Phaty und Nadia: Die Anreise mit dem Trike wird voraussichtlich klappen. Ich will damit aber auch das Rennen fahren.

Antwort Phaty: „Den Trail kannst Du mit dem Trike nicht fahren. Das überlebt das Rad nicht. Wir können aber vermutlich eine Umleitungsstrecke einrichten, damit Du starten und eine Runde fahren kannst.“

Ich bedanke mich für die freundlich Sorge um das Rad und bastele schon mal eine Komoot-Individual-SIS-Trike-Strecke zusammen, die ich mir aus den SIS-Videos grob zusammengereimt habe.

Weitere Suche nach Reifen-Alternativen mit freundlicher E-Mail- und Telefon-Unterstützung sowohl durch HPvelotechnik, wie auch Schwalbe. Weil’s mit 47 mm nichts Passendes gibt, und was Breiteres nicht unters Trike-Schutzblech passt, fällt die Entscheidung: das Schutzblech kommt raus, dafür ein 60 mm SmartSamPlus rein, und aus Europawahl-Hohlkammer-Kunststoff-Plakaten wird ein Ersatzspritzschutz gebastelt. 

Ausführliche Testfahrt? Reicht nicht mehr. 

Es ist Sonntag, 28.7., morgen geht’s los Richtung Erdbeertal.

Auf geht’s

Montag, 29.7.: München -> Dillingen. Gemütliche 100 km. Leichte Steigungen zwischen Lech- und Donautal sind unproblematisch.

Dienstag, 30.7.: Dillingen -> Remshalden. Durchs Brenz- und Kochertal läuft’s wie üblich angenehm flach, aber die Sonne brennt vom Sommerhimmel. Irgendwann, als auch die Füße brennen, führt im Remstal der Radweg auf das Bachniveau. Schöne Grasfläche, kleiner Sandstrand: Spätnachmittäglicher Badeurlaub. 130 km – es läuft.

Mittwoch, 31.7.: Remshalden -> Germersheim. An der Remsmühle ist der Radweg plötzlich gesperrt. Unterspülungen vom kürzlichen Hochwasser. Wie üblich keine Umleitungsausschilderung für Fahrräder. Die flache Remsschlinge wird eingetauscht gegen einen ersten etwas härteren Steigungstest. Oben wird eine Hauptverkehrsstraße erreicht, die mit einem ordentlichen Radweg wieder runter nach Neckarrems führt. Der morgendliche Berufsverkehr staut sich kilometerweit zurück. Und rechts davon brettert das Trike mit 55 Sachen den Neckar entgegen. Die Anreise macht Spaß! Am Abend wieder runde 130 km. Leider eine viel zu heiße Nacht im Rheintal.

Donnerstag, 1.8.: Germersheim -> Volksrepublik Erdbeertal. Es wird langsam ernst. Bis Neustadt geht’s noch weitgehend flach. Wie wird der Anstieg? Gemütlich moderat. Nach Lambrecht auf dem radwegelosen Abschnitt erste freundliche Begrüßungs-Hupen. Da werden die drei Katzenaugen-Herzchen am hinteren Spritzschutz wohl richtig interpretiert. 

In Weidenthal links ab und langsam zum Weiher hoch. Die Hup-Frequenz erhöht sich. Phaty überholt und ruft mir eine namentliche Begrüßung zu! So viele Trike-Fahrer scheint’s hier nicht zu geben.

Es fühlt sich an wie eine Vision: es überholt ein aufgeblasenes Kunstoff-Einhorn!

Dann ist da plötzlich ein KFZ-Stau. Flächeneffiziente Fahrräder haben den Vorteil, da einfach dran vorbeifahren zu können. Begrüßungen, Winken, Grinsekatze, Honigkuchenpferd! Vor der Schranke sammeln sich hinter dem Einhorn die Fahrräder. Erste Biereinladung.

Teil 1 ist geschafft: Angekommen bei SIS.

Donnerstag, 1.8., High Noon

10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, GOOO, die Schranke geht auf, der Tross rollt ins Auenland. Auf welcher Seite kommt man auf den Platz? Ich schließe mich der rechtsrum-Fraktion an. Irgendwo in der Platzmitte stehen schon zwei Zelte. Dann baue ich mein Einpersonen-Schlauch mal direkt daneben auf. Kaum ist die Außenhülle drüber, bricht der Regen los. Willkommene Abkühlung. Jetzt ist es dann halt wirklich auch egal. 

Barfuß schlendern über den traumhaft weichen Sportplatz-Rasen. Den anderen beim Aufbauen zuschauen. Orientierung. Langsam füllt sich der Platz. Erste Räder werden vor den Zelten aufgereiht. Die Einhorn- und Flamingo-Dichte nimmt zu. Hier ein paar freundliche Begrüßungsworte. Dort unter einem Pavillon eine schon sehr fröhliche Truppe aus der Pfalz mit thüringischer Erweiterung. „Magst Du den Stuhl? Magst Du ein Bier?“ Erste Gespräche. Wo kommt wer her? Ach, Du bist zum ersten Mal dabei? Willkommen im Club!

Angekommen bei SIS.

Die ersten Kinder brettern mit ihren Rädern über die matschige Rundbahn, Jugendliche tragen auf der Rasenfläche vor der Weinlounge erste Fußballspiele aus. Plötzlich schlendern auch andere etwas staunend über den Platz. Auch Frischlinge? Drehen wir doch gleich mal zusammen ein paar Schleifen.

Donnerstagabend: Gunnars Vortrag in der Hütte über ein Jahr Workpacking. Man hockt zusammen, die ersten pfälzischen Weinschorlen sind probiert, es wird geratscht. Manche sind seit Anfang an dabei, manche erst seit Ende der Pandemie, manche auch ganz neu. Die ersten Namen sind gespeichert. Alle fröhlich und fast euphorisch! S IS SIS.

Freitag

In der Früh krieche ich kurz nach 6:00 Uhr aus dem Zelt. Feuchte Nebelschwaden wabern noch über den Platz, alles noch in friedlicher Ruhe. In der Hütte sitzen schon zwei und haben Kaffee gekocht. „Willst du auch einen? Hast du eine Tasse?“ Zweimal JA!! Schon wieder eingemeindet – noch vor dem Frühstück um 9.00 Uhr.

Vorbestellte Textilien abholen, zusätzliche Buffs erwerben, Burger hier, Weinschorle dort. Ich brauche vermutlich noch etwas mehr Barschaft. Als die echten Mountainbiker zu den Freitagstouren aufbrechen, radle ich mit dem Trike über den Platz mit Ziel Lambrecht. „Willst du damit das Rennen fahren?“, „Du hast kein anderes Rad dabei?“, „Du bist bekloppt!“ – Angekommen! Es ist toll!!

Auf der Rückfahrt von Lambrecht ein erster Besuch am Weiher. Viele SIS-Bändchen an linken Handgelenken. Sofort neue Gespräche, auf der Wiese, im Wasser. Ein tiefenentspannter Tag. Auf dem Platz beschäftigen sich die Kinder immer noch selbst. Teilweise etwas eingesaut, aber alle superglücklich.

Phaty eröffnet am Abend SIS offiziell in der Hütte und das Dreifach-Konzert geht ab. Tanzende Menschen. Einige Gesichter sind schon aus den Videos bekannt. Beim Schlammbein-Unplugged-Auftritt klären sich einige Textstellen, die ich bisher noch nicht verstanden hatte: „Schlachti hängt schon von der Decke“… ein paar andere bleiben ungeklärt.
Die Disco unterm Zielbogen beschallt den Platz noch bis gegen 2:00 Uhr – dann plötzlich unerwartete wirkliche Nachtruhe.

Der längste Tag mit der längsten Nacht.

Am Samstagmorgen wird die nächste Frage beantwortet. Testrunde! „Sieh’ die Weidenthaler Wand, die in Stein gemeißelt stand.“ Es klappt mit dem Trike – bis zur Spitzkehre ganz oben und dem Beginn des Trails. Bei 80 cm Spurweite ist der definitiv nicht Trike-kompatibel. 

Die Testrunden-Gruppe ist weg. Meine Komoot-Vorplanung kommt zum Einsatz. OK, dann jetzt einfach den Forstweg hier weiter und dann runter über den Weg zur Hütte… äh… das ist ja gar nicht der Weg zur Hütte. Das ist die Straße. Geile Abfahrt!!! Aber vermutlich nicht fürs Rennen sinnvoll – dann müsste ich gegen die reguläre Fahrtrichtung wieder ins Erdbeertal rein. Phaty verweist in Sachen alternativer Streckenführung auf andere Zuständigkeiten: „habe davon doch keine Ahnung“. 

Als Hermann vor mir über den Platz läuft, ist innerhalb von einer Minute geklärt, wo ich in der Weidenthaler Wand abbiegen muss. Die Alternativroute ist zwar eine Abkürzung und spart 60 Höhenmeter, dafür muss ich am Downhill-Zelt geradeaus weiter und über die sehr holperige Strecke Richtung Hütte runter, dann – wie beim Kinderrennen – an der Hütte vorbei und hinten wieder in den Downhill-Auslauf einfädeln. So wird das klappen. 

Die Kinderrennen am Nachmittag sind reine Freude. Strahlende Gesichter, Begeisterung, teilweise sichtbare Ambitionen. Und alle bekommen eine Gewinnertüte! Man hat fast schon Tränen in den Augen, so schön ist das!

Der Weihersturm der Singlespeeder: jetzt wird es wirklich bunt. Dass am Anfang eine Biertaufe der Startenden stattfindet, erklärt den späteren Badedurchgang in voller Montur! Holländer in bunten Anzügen und Hüten im Wasser! Spätestens jetzt sind aus den Erwachsenen wieder Kinder geworden, die ihre Heimat gefunden haben. Auch für Nicht-Singlespeeder gibt’s auf der Insel eine Weinschorle.

Die ursprüngliche Anspannung im Hinblick auf das Nachtrennen ist zwischenzeitlich einer gelassenen Ruhe gewichen. Noch einen mittäglichen Burger, Kuchenvariationen. Dann langsam Trike herrichten. Fahne weg. Abschließkette weg. Etwas Druck aus dem Antriebsreifen raus, um die Traktion auf Schotter zu verbessern. Hut weg. Helm auf. Licht drauf. Wo ist das Transponder-Bändchen? Immer wieder Fragen, ob ich mit dem Trike den Trail fahren will. Nee – Umleitungsstrecke. 

Inzwischen habe ich „gestaffelte Ziele“ für das Rennen definiert:

1. Mehr als eine Runde fahren.

2. Möglichst fünf Runden schaffen.

3. Vielleicht tatsächlich die Nacht durchfahren?

Zehn Minuten vor den Ansprachen ist der Platz vor dem Zielbogen noch überraschend leer. Eigentlich wollte ich ja ganz am Ende des Feldes starten, jetzt steht das Trike irgendwo vorne kurz vor dem Bogen. 

Innerhalb von fünf Minuten sind auf einmal alle da. Hunderte Leute dicht an dicht.

Ansprachen, Hände formen Herzchen: „Ich schwöre, dass ich mich auf dem Trail nicht wie ein Arschloch benehme …“. „Lichter an!“

Jetzt ist es wirklich und endgültig auch egal. Du wollest das so haben, jetzt freu’ dich!

„10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 – Auf geht’s!!!“

Bei der ersten Runde ist das Komoot-Navi noch an – die Umleitungs-Abzweigung in der Weidenthaler Wand darf ich keinesfalls verpassen. Klappt gut. Am ersten Streckenposten-Zelt wissen die Jungs Bescheid, dass ein Dreirad aus der anderen Richtung durchkommen soll. Inzwischen ist es stockdunkel, die erste Abfahrt nach dem Downhill-Zelt ist aber noch angenehm warm.

Erster Zieldurchgang. Das Verpflegungszelt ist der Wahnsinn. Wie viele Leute schmieren da Leberwurst- und Schokocreme-Schnittchen, schnippeln Essiggurken, Bananen und Apfelspalten, füllen den Getränke-Behälter und die Becher auf? 

Euphorie! Auf zur zweiten Runde.

Das Winken und das Grüßen bei den Streckenposten wird individueller! Ich habe den Eindruck, dass man sich etwas wundert, dass das Trike zum zweiten Mal durchkommt. Bei den Parallel-Partys der Weidenthaler an der Strecke wird man freundlich begrüßt und bekommt Grillwürstchen angeboten. Selbstbedienungs-Getränkebänke sind aufgebaut. Ein Feuerkorb weist leuchtturmgleich den Weg – Lichterketten bestätigen, dass man noch auf der richtigen Strecke ist. Die Abzweigung in der Weidenthaler Wand finde ich jetzt ohne elektronische Unterstützung. Bei der Abfahrt wird’s langsam kalt. Nach der zweiten Runde kurzes Hemd weg, langes Trikot drunter, nasses Hemd als zweite Lage wieder drüber. 

Eigentlich ist das erste Staffelziel jetzt erreicht. Aber es macht wirklich Spaß! Los zur Runde drei. 

Bei Runde vier fragen die Streckenposten oben am „nach der Umleitung“-Zelt, ob ich einen Kaffee will. Nee, jetzt nicht. Ziel ist die fünfte Runde. Dann würde ich gerne einen nehmen. „Prima! Dann bereiten wir den schon mal vor!“ Aber ich habe vergessen zu fragen, ob sie auch Milch haben. Als bekennender Milchkaffee-Bubi geht Kaffee schwarz leider gar nicht. Bei der fünften Durchfahrt wird aus dem Kaffee daher eine Cola mit korrespondierenden Weingummis, und mit einem netten Schwätzchen. 

Im Downhill-Zelt hat man mitgezählt. „Das ist jetzt die fünfte?“ – „Ja, und ich glaube, die letzte…“ Aber als ich unten hinter dem Zielbogen stehe, und aussteigen will, kommt der kleine Ehrgeiz-Teufel raus, hüpft auf die Schulter und flüstert ins Ohr: „Jetzt hast du deine fünf Runden geschafft – fahr’ halt noch eine zum Spaß!“. Ok, was hat man als schwacher Mensch dem Teufel schon entgegenzusetzen? Wie immer, wenn man sich mit diesem einlässt, folgen aber unweigerlich höllische Visionen. War das gerade ein nackiger Mountainbiker, der da vorbeigezogen ist? Ich beginne offensichtlich zu delirieren.

Sechste Runde abgeschlossen. Jetzt ist es dann auch gut – aber was soll man um 4:25 Uhr noch machen? Rumstehen und nassgeschwitzt, frierend auf die anderen warten? Die Zielbogen-Besatzung ist teilweise in warme Schlafsäcke eingemümmelt. Nee, eine geht noch rein vor dem Zielschluss, vielleicht dann auch mit Dämmerung/Sonnenaufgang oben im Pfälzer Wald? Aber ich gönne mir den Luxus eines neuen trockenen T-Shirts und Trikots. 

Die Begleitpartys sind zwischenzeitlich zu Ende gegangen. Feuerturm und Lichterketten leuchten weiter. Es ist jetzt etwas einsam. Die Streckenposten grüßen weiterhin freundlich – wenn auch etwas müde. Es ist komisch, dass ich mich gar nicht müde fühle. Endorphine und Adrenalin??? Keine Ahnung, aber es ist super! Zur Begleitung läuft meine eigene Umhänge-mp3-Box. In den Rückspiegeln wandelt sich der Himmel von schwarz zu bläulich. Zum siebten Mal vorbei am Downhill-Zelt.

Auf der Rumpel-Downhill-Umgehungsstrecke runter zur Hütte singt Leonard Cohen:

„I walked into this empty church I had no place else to go 

When the sweetest voice I ever heard, whispered to my soul 

I don’t need to be forgiven for loving you so much 

It’s written in the scriptures 

It’s written there in blood 

I even heard the angels declare it from above 

There ain’t no cure, 

There ain’t no cure, 

There ain’t no cure for love”

Das passt doch wunderbar zu „Erdbeertal – Wo die Liebe wohnt“:

„Dieser Ort ist ein Kral,

dieser Ort ist Deine Festung.

Kehr zurück ins Erdbeertal

und Du findest Liebe!

Kehr zurück ins Erdbeertal,

wo die Liebe wohnt.“

Angekommen bei SIS – jetzt aber wirklich.

Das gemeinsame Frühstück von Bikern, Streckenposten, Helfern, Sportverein, Feuerwehr.

Phatys Siegerehrungs-Ansprache mit dem Dank an alle, die SIS möglich machen. 

Alle sind müde, aber es sind durchweg glückliche Gesichter.

Die innerhalb von dreieinhalb Tagen entstandene Gemeinschaft mit diesem Haufen Irrer –

Irre!

Kurz ins Zelt, vielleicht zwei Stunden schlafen. Abbauen, einpacken, Trike beladen.

Verabschiedungsrunde über den Platz.

Phaty sagt was von „ich hätte dann gerne einen Reisebericht“

Winken, rausrollen aus dem Erdbeertal, runterrollen nach Neustadt, etwas sediert weiterradeln bis Speyer. Der Hals ist so verspannt, dass ich an Kreuzungen, Abbiegungen, Straßenquerungen nicht mehr wirklich gucken kann, ob da ein Fahrzeug kommt. In Speyer frage ich andere Passanten, ob frei ist.

Von 20:30 bis 6:45 Uhr Tiefschlaf in der Jugendherberge und danach, am Montagmorgen ist alles wieder gut.

The End

Montag, 5.8.: eine gemütliche 75 km Kurz-Etappe nach Heilbronn.

Dienstag, 6.8.: heftigere 125 km bis nach Dinkelsbühl, die letzten 50 km davon mit doch etwas anstrengenden Steigungsstrecken im Hügelland der Hohenlohe. Das Gepäck ist etwas schwerer geworden. Es sind jetzt zahlreiche SIS-Textilien mit dabei. Eine Traum-Jugendherberge.

Mittwoch, 7.8.: flach durchs Wörnitz- und Altmühltal 110 km bis Eichstätt.

Donnerstag, 8.8.: kurz nach der Abfahrt der erwartete Anstieg. Kurz vor dessen Ende bricht ein morgendliches Gewitter los. Ein Männlein steht mit schwarzem Regenkittel barfuß im Walde ganz still und stumm und wartet die halbe Stunde ab, bis die Wolke vorbei ist. Danach trocken und warm weiter nach München. Nach Überquerung der Stadtgrenze rumpelt es erneut. Fünf Minuten später, nach 100 km, setzt der neuerliche Regen ein. 

Aber jetzt ist es halt auch egal – es sind nur noch zwei Minuten bis nach Hause.

SIS 20|24 ist zu Ende.

Dreifache Herzchengrüße an Euch alle und lieben Dank für die herzliche Aufnahme in die SIS-Familie!

Gesucht – gefunden!

To be continued

Wer kommt immer wieder gern nach Weidenthal? Wir, wir, wir!

Bis nächstes Jahr – dann ohne Trike.

Vielen Dank Andreas – So schnell verstehen es die wenigsten! ❤️❤️❤️ – phaty

4 Kommentare zu “SIS 20|24. Reisebericht eines SIS-Frischlings – oder vielleicht eine Suche?

  1. Das ist so grandios, ich brauch jetzt erstmal ein Bier. Schön, mal aufgeschrieben zu lesen, wie ich SiS selber kennenlernte. Im Detail etwas anders und die Einbürgerung dauerte bei uns auch etwas länger aber im Prinzip passt das schon. Dank dem Autor, wir sehen uns nächstes Jahr.

    MfG. ungerTV

  2. Holla die Waldfee! Andreas, Respekt für 7 Runden! Und keine Angst, der SIS Virus ist völlig harmlos, allerdings unheilbar! Wir sehen uns 2025! Super Text ♥️♥️♥️

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